Das »Lexikon zur Soziologie« ist 2020 in sechster Auflage erschienen.
Es ist wiederum neu bearbeitet und formatiert worden, um zahlreiche Artikel erweitert und erstmals mit Literaturhinweisen versehen. Eine verlegerische Leistung! Über achttausend Stichwörter auf 893 Seiten, fest gebunden sowie als E-book erhältlich. Zwei der ursprünglichen Herausgebercrew sind bereits seit 1973 dabei (Hanns Wienold und ich machten jetzt die Geschäftsführung); vor zehn Jahren sind drei Kolleg_innen hinzugetreten.
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An der Universität Bremen habe ich mich der Lehre des Fachs gewidmet, oft war ich auch in den Gremien der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit solchen Fragen befasst. Im Studiengang Soziologie (Fachbereich 8 der Universität Bremen, www.soziologie.uni-bremen.de) habe ich Kurse und Seminare vornehmlich zu den folgenden Themen angeboten:
In der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie« (www.soziologie.de) fungierte ich als Herausgeber des Mitteilungsblattes »Soziologie. Forum der Deutschen Gesellschaft für Soziologie« von 1995 bis 1999.
In der Allgemeinen Soziologie habe ich einige Aufsätze und Bücher publiziert. Das begann mit »Wert und Norm. Begriffsanalysen für die Soziologie« (1969 im Westdeutschen Verlag) und floss stets in die Arbeit am »Lexikon zur Soziologie« ein.
Früh schon beschäftigte mich die Frage, wie die Kategorie »Geschlecht« in die soziologische Theorie einzubringen sei. Die grundlegenden Themen des Geschlechterverhältnisses gehören nämlich nicht zu einer speziellen Soziologie, etwa zur Frauenforschung, sondern in die Allgemeine Soziologie. Eine Zusammenfassung dieser Forschungen findet sich in meinem Buch »Die Gleichheit der Geschlechter und die Wirklichkeit des Rechts« (328 S., Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990). Das Thema bleibt mir präsent.
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Um das Jahr 2002 herum wagte ich einen (kurzzeitig gebliebenen) Versuch, das Verhältnis zwischen dem Bühnengeschehen und der Zuschauerschaft sozial- und kulturwissenschaftlich zu untersuchen. Das Theater gilt zu Unrecht als eine elitäre Einrichtung, welche die Masse der Bevölkerung nicht (mehr) erreicht. Die empirischen Wissenschaften stürzen sich seit zwei Jahrzehnten auf Film und Fernsehen, oft bloß nur, um schädliche Wirkungen nachzuweisen – womit sie übrigens regelmäßig scheitern, weil sie die Eigenaktivität und die Intelligenz der Zuschauer unterschätzen.
Gewiss war Fernsehen das Medium in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so wie der Film die neue Kunst in der ersten Hälfte gewesen ist und es jetzt die interaktiven Formate des Internet werden. Dabei vergisst sich leicht, dass die Inhalte dieser Medien ohne das lebende Theater nicht zustande kommen, ja dass die Idee des Theaters all den Spielen auf Bildschirm und Leinwand unverändert zugrunde liegt. Die lebende Bühnenaufführung – Darsteller spielen vor einem präsenten Publikum – ist so etwas wie die »Urszene« dramatischer Ereignisse in Kunst, Politik, Religion usw. Schauspieler. Und verhält es sich nicht auch auf Facebook so? Die Bretter, die ehemals die Welt bedeuteten, liefern nach wie vor die Grundsubstanz für große Teile der elektronisch vermittelten Bildmedien.
Und das Publikum? Es ist das unbekannte Wesen, es sitzt im Dunkeln, hinter der »vierten Wand« des Theaters. Von der Theaterwissenschaft ist es Ende der 1990er Jahre theoretisch entdeckt worden. Von der „Produktivität des Zuschauers" geht neuerdings die Rede, so wie Umberto Eco für die Literatur bereits vor langem die Aktivität des Lesers beschrieben hat. Erste, noch ganz theoretische Überlegungen dazu habe ich in einem kurzen Beitrag angestellt: Zuschauen im Theater als Arbeit und Urheberschaft (2002).
Nur empirisch erforscht und beschrieben wird die Aktivität der Zuschauerschaft noch nicht. Keineswegs ist es ja so, dass man bloß dasitzt und höflich Beifall klatscht. Vielmehr ist das Publikum eine lebendige und tätige Gruppe. Es setzt sich aus recht verschiedenen Segmenten zusammen. Ein Theaterbesuch besteht aus zahlreichen Schritten – vom ersten Hören, dass da »etwas los ist«, bis zu den Gefühlen und Gesprächen »am Tage danach«. Ohne das Zuschauerhandeln genauer zu beschreiben, können wir nicht abschließend verstehen, was das Phänomen Theater ausmacht.
Das Publikum setzt sich nicht allein aus den gerade als Zuschauer Anwesenden zusammen, sondern reicht weit darüber hinaus – bis in die allgemeine Öffentlichkeit, zu deren ursprünglichsten Foren es zählt. Auch wer nur gelegentlich hineingeht oder schon lange nicht mehr dort war, mag die Entwicklungen auf den Bühnen seiner Stadt verfolgen. Zum Profil eines Ortes gehört heute auch seine Theaterkultur.
Urbanität ist bei uns ohne das Vorhandensein von Theatern nicht zu denken. Der deutschsprachige Raum ist mit einer einmaligen Bühnendichte gesegnet, um die uns die übrige zivilisierte Welt beneidet. Neuerdings gastieren hier Theatertruppen aller Länder und Kulturen – bei übrigens aufmerksamer Rezeption durch Teile des Publikums. Kommunen und Länder unterstützen diese Häuser mit wahrhaft riesigen Geldbeträgen. Für so manche Stadt wird vorgerechnet, dass ihre Theater von mehr Menschen besucht werden als die Heimspiele des ansässigen Bundesliga-Fußball-Clubs. So hirnrissig dieser Vergleich auch anmuten mag (denn die betreffenden Populationen unterscheiden sich fundamental), so klar rückt er doch die Dimensionen vors Auge.
In einem ersten Forschungsschritt beleuchtete ich die Beschaffenheit und Verhaltensweisen des realen Theaterpublikums. Dazu beobachtete ich die so genannten Publikumsgespräche (von den Theatern
nach den Aufführungen gelegentlich und mit zunehmender Tendenz angeboten). Mein Beitrag darüber:
Vom Stadttheater zur Bühnenwerkstatt - die Entstaatlichung des Schauspiels
Zuletzt schrieb ich: Theatralisierung des Theaters.
In: Herbert Willems, Hgb., Theatralisierungen und Enttheatralisierungen der Gegenwartsgesellschaft. Band 1. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 499-517, 2009.