Homosexualität ist ein hybrides Wort; es kommt nicht von homo = lat. für Mensch, sondern von homo = griech. für gleich. Und die Herkunft des Wortes Sexualität (von secare = lat. für schneiden, gemeint: die Trennung zweier Geschlechter) besagt wenig über das, um was es geht. Im akademischen Bereich klang der Titel Homostudien etwas absonderlich, und so hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Bezeichnung zu veredeln: Gay studies, Schwullesbische Forschung, Queer studies, GLBT studies. LSBTI signalisiert: Die Themen lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, intersexuell bleiben einstweilen beieinander, obwohl trans* und inter nicht unmittelbar das Sexuelle betreffen. Die Queer-Bewegung schafft es (glücklicherweise), die Aspekte intellektuell und strategisch zusammenzuhalten, ja sogar im Konzept der Intersektionalität an die großen Differenzlinien sozialer Ungleichheit anzuschließen.
Ein neues Konzept bestimmt jetzt die Linie des Forschens: die Kritik an der Heteronormativität. Der Begriff vereinigt die bislang getrennten Analysen zu den Sexualitäten und verbindet sie mit der Problematisierung der Zweigeschlechtlichkeit. Die binäre Teilung der Geschlechtsdimension in Entweder-Mann-oder-Frau-und-nichts-Drittes hat historisch das Patriarchat und die Exklusion der Homosexualitäten begründet (kurz gesagt). Diese Hierarchien aufzulösen dient der neuartige Zugang, der mehr bedeutet als einen Austausch von Bezeichnungen.
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Im Herbst 2004 habe ich das Programm einer umfangreichen Veranstaltung (der Bundeszentrale für politische Bildung, 1. bis 3. Dezember 2004 in Saarbrücken) vorbereitet. Titel: Sexuelle Demokratie. Staatsbürgerrechte für Schwule, Lesben, Transidente und Andere. Hier ging es um den gegenwärtigen Stand der Emanzipationsbewegungen im Bereich der Geschlechterverhältnisse Also nicht mehr nur auf die homosexuellen Frauen und Männer wird Bezug genommen, sondern auf alle Geschlechts- und Sexualformen, die sich jenseits des Normalen ausgebildet haben.
»Sexuelle Demokratie« ist als Stichwort in Deutschland noch kaum verwendet (ein Buch von Ann Ferguson heißt Sexual democracy). Die neue sexualpolitische Richtung, nicht mehr nur »Entdiskriminierung« lamentierend zu erbitten, sondern absolute Gleichstellung einzufordern, wird damit theoretisch untermauert. Die Erweiterung von schwul-lesbisch um die Aspekte der Bisexualität, des Geschlechtswechsels und neuerdings der Intersexe hat eine starke Koalition zustande gebracht: LGBTI.
Zu den aufregendsten Entwicklungen westlicher Gesellschaften zählt augenblicklich das Geschlechterverhältnis. Was bedeutet es denn heute noch, »normal« zu sein? Mit »Karrierefrauen« und »Hausmännern« begann es einmal, und die Homosexuellen setzten es fort. Doch die alten Einheitsformen sterben aus – Vielfalt ist jetzt gefragt. Schwule und Lesben zeigen sich heute bis hinauf in die Spitzen der Gesellschaft. Frauen dringen in die Leitungsbereiche vor, während Männer nicht mehr Alleinernährer und Kraftkerle sein müssen. Die einen wollen nicht länger sexuell ausgebeutet sein, die anderen bieten sich jetzt als erotische Objekte an.
Wir müssen in den kommenden Jahrzehnten eine ganze gender agenda abarbeiten. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transidente und Intersexuelle haben sich zu einer Koalition zusammengefunden, gesellschaftspolitisch und sozialtheoretisch. Von dem neuen Bündnis gehen starke Impulse aus. Sie kämpfen für ihre staatsbürgerlichen Rechte und für die Anerkennung ihrer Besonderheiten. Die privaten Beziehungen und die politischen Arenen, die Medien und die Kultur füllen sich mit diesen Themen. Die so genannten Heterosexuellen werden damit konfrontiert und beeinflusst – auch ihre Lebensweise verändert sich tiefgreifend. Verschwinden denn die Grenzen zwischen den Geschlechtern? Wählen wir zukünftig frei zwischen verschiedenen Optionen der Sexualität? Wächst gar eine »Generation Q« heran?
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Im Herbst 2006 wurde ich vom Bundesministerium der Justiz in einen Beirat berufen, der die „Rechtstatsächliche Untersuchung zur Situation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften/Lebensgemeinschaften" wissenschaftlich begleitet. Der Projektbericht (Dr. Marina Rupp) wurde von der (damaligen) Bundessjustizministerin zum Anlass genommen, das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Elternpaare in Aussicht zu stellen. – Erfreulicherweise schreitet also die Rechtspolitik voran – und ebenso erfreulich werden daran Experten beteiligt.
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Verrät man ein Geheimnis, wenn man die Namen wichtiger Fachgenossen nennt, die selber so waren? Über Werner Ziegenfuß habe ich selbst einmal geschrieben (in: »Der Zwang zur Tugend«, S. 184-189); bei der Recherche verweigerte allerdings das Werner-Ziegenfuß-Archiv die Kooperation. – Zwei Großmeister seien hier per Initial zum Erraten aufgegeben: N.E. und M.F. (Zu N.E. siehe meine Darstellung im Personenlexikon Sexualwissenschaft, 2009.)
Zu meinen Forschungsaktivitäten zählt seit 1971 die Untersuchung der antihomosexuellen Diskriminierung in Geschichte und Gegenwart der deutschen Gesellschaften. Damals, die »widernatürliche Unzucht« unter Erwachsenen war gerade entkriminalisiert worden, reichte ich bei der DFG einen Antrag ein, um die Akzeptanz und Auswirkungen der betreffenden Gesetzgebung zu analysieren. Daraus entstand eine großangelegte Befragung der bundesdeutschen Bevölkerung. Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen – und ich dieses Thema nicht.
Im einzelnen berichtet darüber die gesonderte Homepage zu den »SchwulLesbischen Studien Bremen« , die wir zwischen 1995 und 1999 an der Universität betreiben konnten. Und so sahen wir - drei Frauen, drei Männer - damals aus:
In einer Aufsatzsammlung aus dem Jahre 1997 habe ich meinen Weg dokumentiert und mit Anmerkungen aus heutiger Sicht versehen – eine kleine schwul-intellektuelle Autobiographie. Am Ende befindet sich dort ein Verzeichnis meiner »einschlägigen« Veröffentlichungen. Sabine Hark besprach das Büchlein kurz & gut, im Rahmen ihrer Bereichsrezension zur Soziologie der Sexualität in der »Soziologischen Revue« (2001, S. 379-380):
RÜDIGER LAUTMANN, Der Homosexuelle und sein Publikum. Ein Spagat zwischen Wissenschaft und Subkultur. Hamburg: MännerschwarmSkript 1997, 192 S., kt. DM 30.
Rüdiger Lautmann gilt als Nestor der sozialwissenschaftlich orientierten Forschung zu Homosexualität. Nicht zuletzt geht die bislang in der BRD einmalig gebliebene universitäre Institutionalisierung von "Schwullesbischen Studien" an der Universität Bremen vor allem auf sein nicht ermüdendes Bemühen zurück. So bewegt sich sein wissenschaftliches Denken und politisches Engagement seit bald drei Dekaden im spannungsreichen Dreieck von Wissenschaft, institutioneller Politik und Schwulenbewegung bzw. schwuler Subkultur. Im Laufe dieser Jahrzehnte hat er die Geschichte schwuler Emanzipation seit der Liberalisierung des § 175 im Jahre 1969 intensiv begleitet und manch kontroverses Thema aufgegriffen, etwa die Kießling-Affäre 1984, das umstrittene Thema Pädophilie Mitte der neunziger Jahre oder die Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe bereits 1991. Der vorliegende Band versammelt Vorträge und Essays aus dem gesamten Zeitraum und Themenspektrum, die vom Autor aus aktueller Sicht noch einmal kommentiert, in den Kontext der damaligen Debatten gestellt und um die Reaktionen seiner jeweiligen Publika ergänzt werden. Herausgekommen ist nicht nur ein lesenwertes Lesebuch der Geschichte der sozialwissenschaftlichen Homosexualitätsforschung sowie der schwulen Emanzipationsbewegung, sondern auch der Soziologie und der Bundesrepublik zwischen den siebziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Hier seien jetzt nur noch die weiteren Bücher von mir in diesem Themenbereich aufgeführt:
Hingewiesen sei schließlich auf meine Mitgliedschaft im Editorial board des «Journal of Homosexuality» (USA, seit 1985).